Ein rundum sympathischer Mensch

doktor

Ab einem gewissen Alter wird der Dokor der beste Freund

Vor einigen Monaten sah ich meine Frau an. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, das kommt fast täglich vor. Doch an diesem Tag erwiderte sie meinen Augenkontakt mit ihrem berühmt – berüchtigten Gesichtsausdruck des Grauens. In der Wissenschaft bekannt als „Morbus-William Blicke“. Wenn sie den aufsetzt, hat der arme Mann nichts zu lachen. Es gibt ihn nur in Kombination mit solch unangenehmen Sätzen wie „Wie kommt der Fettfleck auf dein neues Hemd?“ oder „Wieso steht dein Fahrrad in der Dusche?“ Diesmal aber war ich siegesgewiss, denn ich hatte mir nichts vorzuwerfen – glaubte ich zumindest. Ich hatte sogar ohne Aufforderung den Frühstückstisch abgeräumt: Das dreckige Geschirr in den Kühlschrank und die Butter nebst Marmelade in die Spülmaschine. Aber irgendetwas missfiel meiner Frau. Vielleicht war es die Scheibe Käse, die ich, akkurat zu einem Dreieck gefaltet, zu den anderen Servietten in die Schublade des Küchentisches gelegt hatte. Meine Frau legte den Blick des Grauens auf und presste durch kaum geöffnete Zähne jene unheilschwangeren Worte: „Wann warst du eigentlich zum letzten Mal bei Doktor zum Check-up?“ Ich antwortete extrem gelassen: „Lass mich überlegen . . . Das ist nicht so lange her. Ja, genau: Das war an dem Tag, als der Doc das neue Pferd für die Hausbesuche bekam!“

Noch am selben Nachmittag betrat ich die Praxis von meinem Hausarzt – in unserem Viertel der Arzt, dem die Senioren vertrauen. Er stammt aus der Pfalz, spricht aber erstaunlich gut deutsch. Er selbst im besten Alter, ist immer gutgelaunt und wird regelmäßig beim Italiener gesehen, in Begleitung seiner Frau und einer Flasche Rotwein. Also ein rundum sympathischer Mensch. Ich war einmal bei einem jungen Arzt in Behandlung, einer Mischung aus Vitali Klitschko und dem jungen Sascha Hehn. Gehen Sie als reifer Mann niemals zu einem sportlichen Arzt! Sie fühlen sich schon im Wartezimmer, zwischen den gerahmten Sporturkunden, Goldmedaillen und Triathlon-Pokalen, wie ein alter Sack. Und nach dem ersten, meine Finger atomisierenden Händedruck von Dr. Schwarzenegger, wartete ich nur noch auf den Satz: „Ich kann leider nichts mehr für Sie tun.“
Oder noch viel schlimmer: „Sie müssen mehr für sich tun!“ Mein Arzt ist jedoch ganz anders: Er nimmt sich Zeit für seine Patienten. Gut, als Senioren-Doktor hat er auch immer weniger von denen, aber egal. Im Wartezimmer saßen neben mir jedenfalls noch zwei sehr lebendige Exemplare, darunter ein stattlicher Silberrücken, anscheinend mit Bandscheibenvorfall. Als gewissenhafter Patient versuchte ich mein Handy abzustellen, fand aber zwischen den Tasten mit der Aufschrift „TV“, „VIDEOTEXT“ und „REC“ den Knopf zum Abschalten nicht. Wurscht, ich hatte anscheinend eh keinen Empfang.